Haftung

Anwendbarkeit der Amtshaftungsgrundsätze im Ganztag

Einführung

Fraglich ist, ob bei einer Schädigung eines Kindes im Ganztag durch eine Pflichtverletzung des pädagogischen Personals die Amtshaftungsgrundsätze, die für Lehrer/innen Anwendung finden, entsprechend eingreifen:

Bei einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung einer Amtspflicht gegenüber einem Drittem durch einen Beamten bzw. eine Beamtin, müsste dieser bzw. diese nach § 839 BGB den dadurch entstehenden Schaden ersetzen. Hat aber der Beamte bzw. die Beamtin in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes gehandelt, haftet nicht der Beamte bzw. die Beamtin persönlich, sondern gemäß Art. 34 GG der Staat.

Könnte man diese Grundsätze auf das pädagogische Personal anwenden, entfiele eine Haftung des Mitarbeiters bzw. der Mitarbeiterin sowie eine Haftung des Trägers und der Staat wäre primär ersatzpflichtig.

 

Voraussetzungen der Amtshaftung und Übertragbarkeit

Dafür müssten aber die Voraussetzungen der Amtshaftung gegeben sein.

Unter den haftungsrechtlichen Beamtenbegriff fallen all diejenigen Personen, die in Ausübung eines ihnen anvertrauten öffentlichen Amtes handeln. Neben Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst, können also auch Private und juristische Personen, die außerhalb der Verwaltung stehen, in diesen Kreis einbezogen werden (Beliehene, Verwaltungshelfer). Hierfür ist grundsätzlich erforderlich, dass ihnen eine öffentliche Aufgabe übertragen wurde. Ferner richtet sich die Anwendbarkeit der Grundsätze der Amtshaftung danach, ob der hoheitliche Charakter der Aufgabe im Vordergrund steht und eine Einbindung in die hoheitliche Tätigkeit der Behörde vorliegt, ohne dass dabei ein weiter Entscheidungsspielraum gegeben ist.

Entscheidendes Merkmal ist also, dass der Private als Erfüllungsgehilfe der Verwaltung auftritt, er also weisungsgebunden ist (sog. Ingerenztheorie). Dies ist bei Trägern der freien Jugendhilfe jedoch abzulehnen. Zwar werden sie auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendhilfe tätig und nehmen in diesem Rahmen entsprechend Aufgaben wahr. Dies geschieht jedoch auf Grund eines autonomen Willensentschluss auf Grund von Privatautonomie. Eine Stütze dieser Argumentation findet sich in § 4 Abs.1 SGB VIII (= KJHG) und dessen Telos:

 

§ 4 Zusammenarbeit der öffentlichen Jugendhilfe mit der freien Jugendhilfe

(1) Die öffentliche Jugendhilfe soll mit der freien Jugendhilfe zum Wohl junger Menschen und ihrer Familien partnerschaftlich zusammenarbeiten. Sie hat dabei die Selbständigkeit der freien Jugendhilfe in Zielsetzung und Durchführung ihrer Aufgaben sowie in der Gestaltung ihrer Organisationsstruktur zu achten.


Der öffentliche Träger darf erst tätig werden, wenn kein freier Träger die Aufgabe übernehmen kann (sog. Funktionssperre). In Ganztagsschulen ist dies die Betreuung von Schulkindern nach § 24 Abs. 2 SGB VIII, die in Nordrhein-Westfalen laut § 5 Abs. 1 KiBiz auch an Schulen erfüllt werden kann.

Die Selbständigkeit der Träger der freien Jugendhilfe muss also hinsichtlich einer eigenverantwortlichen Aufgabenzielsetzung und -wahrnehmung sowie bei der Organisation gewahrt werden.

Dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe steht keine Fachaufsicht gegenüber den freien Trägern der Jugendhilfe zu. Die Kontrollbefugnisse der Sozialleistungsträger gegenüber freigemeinnützigen Trägern sind gemäß § 4 Abs.1 S.2 SGB VIII, § 17 Abs.3 S.4 SGB I auf die in § 97 Abs.1 SGB X aufgezählten Maßnahmen beschränkt, also auf die Prüfung vor der Förderung bzw. der Kostenüberübernahme. Das heißt es findet nur eine Prüfung dahingehend statt, ob der freigemeinnützige Träger personell und organisatorisch in der Lage ist, die Aufgabe sachgerecht zu erfüllen.

Die Spielräume, die die Vorschriften des SGB VIII einräumen, dürfen die Träger der freien Jugendhilfe selbst ausfüllen. Eine Einschränkung durch die Träger der öffentlichen Jugendhilfe ist nur insoweit zulässig, wie dies zur Anwendung der gesetzlichen Fördervorschriften erforderlich ist (zum Beispiel durch Förderrichtlinien).

Eine Beleihung oder andere Form der Übertragung einer öffentlichen Aufgabe auf die Träger der freien Jugendhilfe findet nicht statt. Der Träger des Ganztags ist auch nicht weisungsgebunden, sondern arbeitet auf Augenhöhe mit den beteiligten Kommunen und Schulleitungen zusammen. Auch aus Sicht eines objektiven Dritten, hier also der Eltern, ist der Träger nicht in den Verwaltungsapparat eingegliedert und erscheint auch nicht als verlängerter Arm der Verwaltung. Vielmehr tritt der Träger eigenständig auf, schließt Betreuungsverträge mit den Eltern ab und auch das pädagogische Personal, das auf Grund von Arbeitsverträgen mit diesem tätig wird, handelt autonom.  Damit kann der haftungsrechtliche Beamtenbegriff nicht auf die Träger und deren Personal angewendet werden. Dies ist auch im Hinblick auf Weiterungen im arbeitsrechtlichen Bereich sinnvoll (Arbeitnehmerüberlassung, Betriebsübergang, Weisungsrecht etc.).

Die Grundsätze der Amtshaftung sind folglich nicht entsprechend auf das pädagogische Personal des Trägers der freien Jugendhilfe anwendbar. Es bleibt somit bei den allgemeinen Haftungsgrundsätzen (ausführlich: Aufsatz "Haftungsfragen im Ganztag") . Jeder Träger sollte daher entsprechend umfassend versichert sein. Dies betrifft zum einen den ausreichenden Versicherungsschutz für seine Mitarbeiter/innen, aber auch des Trägervereins als Gegner eines möglichen Regressanspruchs.

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Medikamentengabe im Ganztag

Einführung

Regelmäßig stellt sich die Frage, ob das pädagogische Personal den anvertrauten Schüler(inne)n Medikamente verabreichen darf, die diese auf Grund chronischer Erkrankungen regelmäßig oder auf Grund vorübergehender Erkrankungen im Alltag benötigen (z.B. Insulinspritzen, Augentropfen, Antibiotikum etc.). Käme es nämlich in diesem Bereich zu einer Schädigung des Kindes, könnten die Haftungsgrundsätze der §§ 104, 105, 106, 110 SGB VII eingreifen. Läge demnach eine schuldhafte Pflichtverletzung (grob fahrlässig oder vorsätzlich) vor, müsste der/die betroffene Mitarbeiter/in bzw. der Träger (aus Regress) für den Schaden haften. Da das Gefährdungs- und Schädigungspotential gerade im Bereich chronischer Erkrankungen im Hinblick auf dauerhafte und schwerwiegende Schäden sehr hoch ist, muss hiermit mit besonderer Sensibilität umgegangen werden.

Zunächst stellt sich die Frage, ob eine fehlerhafte oder unterlassene Medikamentengabe einen hinreichenden Schulbezug aufweist, um den von der Unfallversicherung gewährleisteten Schutz erfasst zu sein, da dieser voraussetzt, dass ein Unfall schulbezogen ist .

Der Schädiger muss also im Bezug auf den Ganztag gehandelt haben; die Verletzung muss in einem inneren Zusammenhang mit der Tätigkeit im Ganztag stehen.

Da es nicht Aufgabe der Schule und auch nicht des Ganztags ist, Medikamente zu verabreichen, kann man einen hinreichenden inneren Bezug im Sinne einer Wahrnehmung einer primären Aufgabe mit guten Argumenten verneinen. Die Vorschriften des SGB VII fänden dann keine Anwendung. Vielmehr würden die regulären zivilrechtlichen Ansprüche zum Tragen kommen.

 

Schadensersatzanspruch aus dem Betreuungsvertrag

Die vertretungsberechtigten Eltern des geschädigten Kindes könnten gegen den Träger aus §§ 280, 278 BGB vorgehen. Der/die handelnde Mitarbeiter/in ist insoweit Erfüllungsgehilfe seines Arbeitgebers (Träger des Ganztags), dessen Verschulden sich dieser gemäß § 278 BGB zurechnen lassen muss. Allerdings findet eine Zurechnung nur statt, wenn der Arbeitnehmer in Erfüllung der Verbindlichkeit des Arbeitgebers tätig wird. Nicht erfasst ist eine Erfüllung nur bei Gelegenheit. Es genügt aber, wenn die Handlung in den allgemeinen Umkreis des Aufgabenbereichs gehört, zu dessen Wahrnehmung der Gehilfe bestellt worden ist.Was als Erfüllungshandlung eingestuft werden kann, lässt sich anhand der arbeitsvertraglich festgelegten Aufgaben ableiten. Ist dort nicht die Aufgabe vorgesehen an die zu betreuenden Kinder Medikamente zu verabreichen, stellt sich die Frage, ob dennoch diese eine Wahrnehmung vertraglicher Pflichten darstellen kann. Da durch den Abschluss eines Betreuungsvertrages und die Anmeldung des Kindes für den Ganztag, die Eltern die ihnen obliegende Personenfürsorge im Sinne von § 1626 Abs.1 S.1 BGB auf den Träger und dessen pädagogischen Personals zumindest teilweise übertragen, werden diese zumindest auch im Bereich der Gesundheitsfürsorge tätig und haben für das Wohlergehen und einen ausreichenden Schutz des Kindes zu sorgen. Damit ließe sich eine Zurechnung über § 278 BGB begründen, da die Gesundheitsfürsorge zumindest für einen eingeschränkten Teilbereich auch zu dem Aufgabenkreis der Mitarbeiter/innen gehören würde, ohne dass hierdurch ein einforderbarer Anspruch auf Medikamentenverabreichung begründet werden würde.

Bejaht man also die Frage der Zurechenbarkeit, haftet der Träger für seine Mitarbeiter/innen und kann von den vertretungsberechtigten Eltern des geschädigten Kindes in Anspruch genommen werden.

 

Schadensersatzanspruch auf Grund deliktischer Haftung

Außerdem könnte das geschädigte Kind direkt gegen den/die Mitarbeiter/in gemäß § 823 BGB (Deliktshaftung) vorgehen und von diesem Ersatz des eingetretenen Schadens verlangen. In der Regel werden die vertretungsberechtigten Eltern wohl aber den Träger in Anspruch nehmen, in der Absicht in diesem einen solventen Schuldner zu finden.

 

Lösungsansätze: Einverständniserklärung und Haftungsfreistellung versus Inanspruchnahme mobiler medizinischer Dienst

Um jedoch die Haftung des Trägers und des pädagogischen Personals auszuschließen, ist eine Einverständniserklärung und Haftungsfreistellung durch die Eltern denkbar. Dabei stellt sich die Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, dem pädagogische Personal die Aufgabe der Medikamentengabe zu übertragen: Diese sind nämlich mangels entsprechender medizinischer Ausbildung nicht geschult im Umgang mit der Verabreichung von Medikamenten, so dass sich hieraus bereits eine Steigerung der Gefahr von Fehlern und Schädigungen ergibt. Grundsätzlich gilt, dass nur ausgebildetes Pflegepersonal nach genauer Medikationsentscheidung eines  Arztes, Medikamente verabreichen darf. Natürlich muss dabei im Auge behalten werden, dass eine Negierung der Übertragbarkeit der Medikamentengabe auf das pädagogische Personal zur Folge haben kann, dass Kinder, die auf diese angewiesen sind, gegebenenfalls nicht am Ganztag teilnehmen können. Dies ist im Hinblick auf die wünschenswerte Inklusion von allen Kindern in die Schule und damit auch in den Ganztag, kein zufriedenstellendes Ergebnis.

Zur Leistung von Erster Hilfe sind selbstverständlich alle Beteiligten verpflichtet, da sie sich ansonsten wegen unterlassener Hilfeleistung gegebenenfalls sogar strafbar machen würden.

Es sind verschiedene Ansätze zum Umgang mit der Problematik der Medikamentengabe denkbar:

Haftungsfreistellung und Einverständniserklärung

Zum einen könnten die Eltern mit dem/der jeweiligen Mitarbeiter/in der Ganztagsschule eine Haftungsfreistellung und Einverständniserklärung abschließen, die die Medikamentengabe durch den/die Mitarbeiter/in erlaubt und ihn/sie von der Haftung für Schäden freistellt. Ferner sollte ein aktueller dezidierter Dosierungsplan und eine Verabreichungsanleitung mit genauen Vorgaben (u.a. auch zur Aufbewahrung und Lagerung) eines Arztes vorliegen.

Eine solche Haftungsfreistellung hat jedoch problematische Aspekte und Konsequenzen:

Zum einen ist die Wirksamkeit einer Haftungsfreistellung, die nur die Haftung des/der Mitarbeiters/in, nicht aber des jeweiligen Trägers des Ganztags ausschließt, fraglich, da bei einer solchen Konstellation ein unzulässiger Vertrag zu Lasten Dritter vorliegen könnte. Wird auch die Haftung des Trägers vertraglich ausgeschlossen, ergibt sich jedoch ein weiteres Problem: Erkrankt der/die Mitarbeiter/in, befindet sich im Urlaub oder ist nicht mehr beim jeweiligen Träger beschäftigt, stellt sich die Frage wer dann für die Medikamentengabe zuständig ist. Zur Lösung dieses Problems müssten die betroffenen Eltern mit jedem/jeder Mitarbeiter/in eine solche Vereinbarung schließen, damit auch in einer Vertretungssituation der Haftungsausschluss greift und die Vertretungspersonen nicht haftungsrechtlich verantwortlich sind. Auch im Hinblick auf externe Angebote im Ganztag müsste eine Haftungsfreistellung erfolgen. Aber auch hier können Kooperationspartner erkranken und Vertretungen zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben schicken. Die haftungsrechtlichen Implikationen ziehen somit weite und kaum überschaubare Kreise.

Inanspruchnahme des mobilen medizinischen Dienstes

Hierzu könnte ein alternativer Lösungsweg vorzugswürdig sein: Die meisten Krankenkassen bieten einen mobilen medizinischen Pflegedienst an, der auch in die Schulen kommt (vgl. § 1 Abs.2 S.3 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung häuslicher Krankenpflege vom 15.01.2011). Eltern können einen Antrag auf Nutzung eines solchen Dienstes stellen, der auch während des Ganztagsbetriebs die Verabreichung der Medikamente gewährleisten kann nach der jeweils vorgeschriebenen ärztlichen Dosierung. Dies gilt natürlich nur für chronische Erkrankungen. Für alle anderen akuten Erkrankungen gilt (Einnahme von Antibiotika etc.), dass die größte Rechtssicherheit nur gewährleistet wird, wenn die Eltern selbst die Verabreichung der Medikamente vornehmen und hierfür in die Schule kommen.

Für die Umsetzung dieses Lösungsansatzes sind natürlich klare und sinnvolle Absprachen notwendig, die einem geregelten Alltag im Ganztag sowie der Eingliederung eines (chronisch) erkrankten Kindes gerecht werden und einen umsetzbaren Konsens gewährleisten.

Abwägung

Auch aus rechtlicher Sicht bestehen Bedenken gegenüber der erstgenannten Lösung über einen Haftungsausschluss: Eine einzelvertraglich ausgehandelte Haftungsfreistellung bezogen auf einen Einzelfall ist zwar zulässig, jedoch gilt dies nicht mehr für formularmäßige Haftungsbefreiungen, also solche, die mit mehreren Eltern abgeschlossen werden sollen. Für diese würden dann nämlich die Vorschriften der §§ 305 ff. BGB über Allgemeine Geschäftsbedingungen eingreifen, die in § 309 Nr.7a,b BGB einen Haftungsausschluss für unwirksam erklären. Da aber gerade in dem Bereich der Medikamentengabe ein erhöhtes Schädigungs- und Gefährdungspotential besteht und vorher nicht absehbar ist, welcher Grad des Verschuldens einem/einer Mitarbeiter/in tatsächlich vorgeworfen werden kann, ist im Hinblick auf die etwaig sehr hohen Schadensersatzansprüche eine Haftungsfreistellung nicht das am besten geeignete Mittel um eine Haftung faktisch ausschließen zu können. Auf Grund der bestehenden Rechtsunsicherheit und des Aufzeigens alternativer und vorzugswürdiger Lösungsansätze, müssen vor Ort konkrete Regelungen gefunden werden, um den Kindern, die auf die regelmäßige Gabe von Medikamenten während des Ganztagsbetriebs angewiesen sind,  eine Teilnahme am Ganztag zu ermöglichen. Dies kann wie erläutert zum Beispiel durch die Einschaltung eines mobilen medizinischen Dienstes erfolgen.

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