Anwendbarkeit der Amtshaftungsgrundsätze im Ganztag

inführung

Fraglich ist, ob bei einer Schädigung eines Kindes im Ganztag durch eine Pflichtverletzung des pädagogischen Personals die Amtshaftungsgrundsätze, die für Lehrer/innen Anwendung finden, entsprechend eingreifen:

Bei einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung einer Amtspflicht gegenüber einem Drittem durch einen Beamten bzw. eine Beamtin, müsste dieser bzw. diese nach § 839 BGB den dadurch entstehenden Schaden ersetzen. Hat aber der Beamte bzw. die Beamtin in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes gehandelt, haftet nicht der Beamte bzw. die Beamtin persönlich, sondern gemäß Art. 34 GG der Staat.

Könnte man diese Grundsätze auf das pädagogische Personal anwenden, entfiele eine Haftung des Mitarbeiters bzw. der Mitarbeiterin sowie eine Haftung des Trägers und der Staat wäre primär ersatzpflichtig.

 

Voraussetzungen der Amtshaftung und Übertragbarkeit 

Dafür müssten aber die Voraussetzungen der Amtshaftung gegeben sein.

Unter den haftungsrechtlichen Beamtenbegriff fallen all diejenigen Personen, die in Ausübung eines ihnen anvertrauten öffentlichen Amtes handeln. Neben Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst, können also auch Private und juristische Personen, die außerhalb der Verwaltung stehen, in diesen Kreis einbezogen werden (Beliehene, Verwaltungshelfer). Hierfür ist grundsätzlich erforderlich, dass ihnen eine öffentliche Aufgabe übertragen wurde. Ferner richtet sich die Anwendbarkeit der Grundsätze der Amtshaftung danach, ob der hoheitliche Charakter der Aufgabe im Vordergrund steht und eine Einbindung in die hoheitliche Tätigkeit der Behörde vorliegt, ohne dass dabei ein weiter Entscheidungsspielraum gegeben ist.

Entscheidendes Merkmal ist also, dass der Private als Erfüllungsgehilfe der Verwaltung auftritt, er also weisungsgebunden ist (sog. Ingerenztheorie). Dies ist bei Trägern der freien Jugendhilfe jedoch abzulehnen. Zwar werden sie auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendhilfe tätig und nehmen in diesem Rahmen entsprechend Aufgaben wahr. Dies geschieht jedoch auf Grund eines autonomen Willensentschluss auf Grund von Privatautonomie. Eine Stütze dieser Argumentation findet sich in § 4 Abs.1 SGB VIII (= KJHG) und dessen Telos:

 

§ 4 Zusammenarbeit der öffentlichen Jugendhilfe mit der freien Jugendhilfe

(1) Die öffentliche Jugendhilfe soll mit der freien Jugendhilfe zum Wohl junger Menschen und ihrer Familien partnerschaftlich zusammenarbeiten. Sie hat dabei die Selbständigkeit der freien Jugendhilfe in Zielsetzung und Durchführung ihrer Aufgaben sowie in der Gestaltung ihrer Organisationsstruktur zu achten. 

 

Der öffentliche Träger darf erst tätig werden, wenn kein freier Träger die Aufgabe übernehmen kann (sog. Funktionssperre). In Ganztagsschulen ist dies die Betreuung von Schulkindern nach § 24 Abs. 2 SGB VIII, die in Nordrhein-Westfalen laut § 5 Abs. 1 KiBiz auch an Schulen erfüllt werden kann.

Die Selbständigkeit der Träger der freien Jugendhilfe muss also hinsichtlich einer eigenverantwortlichen Aufgabenzielsetzung und -wahrnehmung sowie bei der Organisation gewahrt werden.

Dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe steht keine Fachaufsicht gegenüber den freien Trägern der Jugendhilfe zu. Die Kontrollbefugnisse der Sozialleistungsträger gegenüber freigemeinnützigen Trägern sind gemäß § 4 Abs.1 S.2 SGB VIII, § 17 Abs.3 S.4 SGB I auf die in § 97 Abs.1 SGB X aufgezählten Maßnahmen beschränkt, also auf die Prüfung vor der Förderung bzw. der Kostenüberübernahme. Das heißt es findet nur eine Prüfung dahingehend statt, ob der freigemeinnützige Träger personell und organisatorisch in der Lage ist, die Aufgabe sachgerecht zu erfüllen.

Die Spielräume, die die Vorschriften des SGB VIII einräumen, dürfen die Träger der freien Jugendhilfe selbst ausfüllen. Eine Einschränkung durch die Träger der öffentlichen Jugendhilfe ist nur insoweit zulässig, wie dies zur Anwendung der gesetzlichen Fördervorschriften erforderlich ist (zum Beispiel durch Förderrichtlinien).

Eine Beleihung oder andere Form der Übertragung einer öffentlichen Aufgabe auf die Träger der freien Jugendhilfe findet nicht statt. Der Träger des Ganztags ist auch nicht weisungsgebunden, sondern arbeitet auf Augenhöhe mit den beteiligten Kommunen und Schulleitungen zusammen. Auch aus Sicht eines objektiven Dritten, hier also der Eltern, ist der Träger nicht in den Verwaltungsapparat eingegliedert und erscheint auch nicht als verlängerter Arm der Verwaltung. Vielmehr tritt der Träger eigenständig auf, schließt Betreuungsverträge mit den Eltern ab und auch das pädagogische Personal, das auf Grund von Arbeitsverträgen mit diesem tätig wird, handelt autonom.  Damit kann der haftungsrechtliche Beamtenbegriff nicht auf die Träger und deren Personal angewendet werden. Dies ist auch im Hinblick auf Weiterungen im arbeitsrechtlichen Bereich sinnvoll (Arbeitnehmerüberlassung, Betriebsübergang, Weisungsrecht etc.).

Die Grundsätze der Amtshaftung sind folglich nicht entsprechend auf das pädagogische Personal des Trägers der freien Jugendhilfe anwendbar. Es bleibt somit bei den allgemeinen Haftungsgrundsätzen (ausführlich: Aufsatz "Haftungsfragen im Ganztag") . Jeder Träger sollte daher entsprechend umfassend versichert sein. Dies betrifft zum einen den ausreichenden Versicherungsschutz für seine Mitarbeiter/innen, aber auch des Trägervereins als Gegner eines möglichen Regressanspruchs.

Einführung

Regelmäßig stellt sich die Frage, ob das pädagogische Personal den anvertrauten Schüler(inne)n Medikamente verabreichen darf, die diese auf Grund chronischer Erkrankungen regelmäßig oder auf Grund vorübergehender Erkrankungen im Alltag benötigen (z.B. Insulinspritzen, Augentropfen, Antibiotikum etc.). Käme es nämlich in diesem Bereich zu einer Schädigung des Kindes, könnten die Haftungsgrundsätze der §§ 104, 105, 106, 110 SGB VII eingreifen. Läge demnach eine schuldhafte Pflichtverletzung (grob fahrlässig oder vorsätzlich) vor, müsste der/die betroffene Mitarbeiter/in bzw. der Träger (aus Regress) für den Schaden haften. Da das Gefährdungs- und Schädigungspotential gerade im Bereich chronischer Erkrankungen im Hinblick auf dauerhafte und schwerwiegende Schäden sehr hoch ist, muss hiermit mit besonderer Sensibilität umgegangen werden.

Zunächst stellt sich die Frage, ob eine fehlerhafte oder unterlassene Medikamentengabe einen hinreichenden Schulbezug aufweist, um den von der Unfallversicherung gewährleisteten Schutz erfasst zu sein, da dieser voraussetzt, dass ein Unfall schulbezogen ist .

Der Schädiger muss also im Bezug auf den Ganztag gehandelt haben; die Verletzung muss in einem inneren Zusammenhang mit der Tätigkeit im Ganztag stehen.

Da es nicht Aufgabe der Schule und auch nicht des Ganztags ist, Medikamente zu verabreichen, kann man einen hinreichenden inneren Bezug im Sinne einer Wahrnehmung einer primären Aufgabe mit guten Argumenten verneinen. Die Vorschriften des SGB VII fänden dann keine Anwendung. Vielmehr würden die regulären zivilrechtlichen Ansprüche zum Tragen kommen.

 

Schadensersatzanspruch aus dem Betreuungsvertrag 

Die vertretungsberechtigten Eltern des geschädigten Kindes könnten gegen den Träger aus §§ 280, 278 BGB vorgehen. Der/die handelnde Mitarbeiter/in ist insoweit Erfüllungsgehilfe seines Arbeitgebers (Träger des Ganztags), dessen Verschulden sich dieser gemäß § 278 BGB zurechnen lassen muss. Allerdings findet eine Zurechnung nur statt, wenn der Arbeitnehmer in Erfüllung der Verbindlichkeit des Arbeitgebers tätig wird. Nicht erfasst ist eine Erfüllung nur bei Gelegenheit. Es genügt aber, wenn die Handlung in den allgemeinen Umkreis des Aufgabenbereichs gehört, zu dessen Wahrnehmung der Gehilfe bestellt worden ist.Was als Erfüllungshandlung eingestuft werden kann, lässt sich anhand der arbeitsvertraglich festgelegten Aufgaben ableiten. Ist dort nicht die Aufgabe vorgesehen an die zu betreuenden Kinder Medikamente zu verabreichen, stellt sich die Frage, ob dennoch diese eine Wahrnehmung vertraglicher Pflichten darstellen kann. Da durch den Abschluss eines Betreuungsvertrages und die Anmeldung des Kindes für den Ganztag, die Eltern die ihnen obliegende Personenfürsorge im Sinne von § 1626 Abs.1 S.1 BGB auf den Träger und dessen pädagogischen Personals zumindest teilweise übertragen, werden diese zumindest auch im Bereich der Gesundheitsfürsorge tätig und haben für das Wohlergehen und einen ausreichenden Schutz des Kindes zu sorgen. Damit ließe sich eine Zurechnung über § 278 BGB begründen, da die Gesundheitsfürsorge zumindest für einen eingeschränkten Teilbereich auch zu dem Aufgabenkreis der Mitarbeiter/innen gehören würde, ohne dass hierdurch ein einforderbarer Anspruch auf Medikamentenverabreichung begründet werden würde.

Bejaht man also die Frage der Zurechenbarkeit, haftet der Träger für seine Mitarbeiter/innen und kann von den vertretungsberechtigten Eltern des geschädigten Kindes in Anspruch genommen werden.

 

Schadensersatzanspruch auf Grund deliktischer Haftung 

Außerdem könnte das geschädigte Kind direkt gegen den/die Mitarbeiter/in gemäß § 823 BGB (Deliktshaftung) vorgehen und von diesem Ersatz des eingetretenen Schadens verlangen. In der Regel werden die vertretungsberechtigten Eltern wohl aber den Träger in Anspruch nehmen, in der Absicht in diesem einen solventen Schuldner zu finden.

 

Lösungsansätze: Einverständniserklärung und Haftungsfreistellung versus Inanspruchnahme mobiler medizinischer Dienst 

Um jedoch die Haftung des Trägers und des pädagogischen Personals auszuschließen, ist eine Einverständniserklärung und Haftungsfreistellung durch die Eltern denkbar. Dabei stellt sich die Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, dem pädagogische Personal die Aufgabe der Medikamentengabe zu übertragen: Diese sind nämlich mangels entsprechender medizinischer Ausbildung nicht geschult im Umgang mit der Verabreichung von Medikamenten, so dass sich hieraus bereits eine Steigerung der Gefahr von Fehlern und Schädigungen ergibt. Grundsätzlich gilt, dass nur ausgebildetes Pflegepersonal nach genauer Medikationsentscheidung eines  Arztes, Medikamente verabreichen darf. Natürlich muss dabei im Auge behalten werden, dass eine Negierung der Übertragbarkeit der Medikamentengabe auf das pädagogische Personal zur Folge haben kann, dass Kinder, die auf diese angewiesen sind, gegebenenfalls nicht am Ganztag teilnehmen können. Dies ist im Hinblick auf die wünschenswerte Inklusion von allen Kindern in die Schule und damit auch in den Ganztag, kein zufriedenstellendes Ergebnis.

Zur Leistung von Erster Hilfe sind selbstverständlich alle Beteiligten verpflichtet, da sie sich ansonsten wegen unterlassener Hilfeleistung gegebenenfalls sogar strafbar machen würden.

Es sind verschiedene Ansätze zum Umgang mit der Problematik der Medikamentengabe denkbar:

Haftungsfreistellung und Einverständniserklärung

Zum einen könnten die Eltern mit dem/der jeweiligen Mitarbeiter/in der Ganztagsschule eine Haftungsfreistellung und Einverständniserklärung abschließen, die die Medikamentengabe durch den/die Mitarbeiter/in erlaubt und ihn/sie von der Haftung für Schäden freistellt. Ferner sollte ein aktueller dezidierter Dosierungsplan und eine Verabreichungsanleitung mit genauen Vorgaben (u.a. auch zur Aufbewahrung und Lagerung) eines Arztes vorliegen.

Eine solche Haftungsfreistellung hat jedoch problematische Aspekte und Konsequenzen:

Zum einen ist die Wirksamkeit einer Haftungsfreistellung, die nur die Haftung des/der Mitarbeiters/in, nicht aber des jeweiligen Trägers des Ganztags ausschließt, fraglich, da bei einer solchen Konstellation ein unzulässiger Vertrag zu Lasten Dritter vorliegen könnte. Wird auch die Haftung des Trägers vertraglich ausgeschlossen, ergibt sich jedoch ein weiteres Problem: Erkrankt der/die Mitarbeiter/in, befindet sich im Urlaub oder ist nicht mehr beim jeweiligen Träger beschäftigt, stellt sich die Frage wer dann für die Medikamentengabe zuständig ist. Zur Lösung dieses Problems müssten die betroffenen Eltern mit jedem/jeder Mitarbeiter/in eine solche Vereinbarung schließen, damit auch in einer Vertretungssituation der Haftungsausschluss greift und die Vertretungspersonen nicht haftungsrechtlich verantwortlich sind. Auch im Hinblick auf externe Angebote im Ganztag müsste eine Haftungsfreistellung erfolgen. Aber auch hier können Kooperationspartner erkranken und Vertretungen zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben schicken. Die haftungsrechtlichen Implikationen ziehen somit weite und kaum überschaubare Kreise.

Inanspruchnahme des mobilen medizinischen Dienstes

Hierzu könnte ein alternativer Lösungsweg vorzugswürdig sein: Die meisten Krankenkassen bieten einen mobilen medizinischen Pflegedienst an, der auch in die Schulen kommt (vgl. § 1 Abs.2 S.3 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung häuslicher Krankenpflege vom 15.01.2011). Eltern können einen Antrag auf Nutzung eines solchen Dienstes stellen, der auch während des Ganztagsbetriebs die Verabreichung der Medikamente gewährleisten kann nach der jeweils vorgeschriebenen ärztlichen Dosierung. Dies gilt natürlich nur für chronische Erkrankungen. Für alle anderen akuten Erkrankungen gilt (Einnahme von Antibiotika etc.), dass die größte Rechtssicherheit nur gewährleistet wird, wenn die Eltern selbst die Verabreichung der Medikamente vornehmen und hierfür in die Schule kommen.

Für die Umsetzung dieses Lösungsansatzes sind natürlich klare und sinnvolle Absprachen notwendig, die einem geregelten Alltag im Ganztag sowie der Eingliederung eines (chronisch) erkrankten Kindes gerecht werden und einen umsetzbaren Konsens gewährleisten.

Abwägung

Auch aus rechtlicher Sicht bestehen Bedenken gegenüber der erstgenannten Lösung über einen Haftungsausschluss: Eine einzelvertraglich ausgehandelte Haftungsfreistellung bezogen auf einen Einzelfall ist zwar zulässig, jedoch gilt dies nicht mehr für formularmäßige Haftungsbefreiungen, also solche, die mit mehreren Eltern abgeschlossen werden sollen. Für diese würden dann nämlich die Vorschriften der §§ 305 ff. BGB über Allgemeine Geschäftsbedingungen eingreifen, die in § 309 Nr.7a,b BGB einen Haftungsausschluss für unwirksam erklären. Da aber gerade in dem Bereich der Medikamentengabe ein erhöhtes Schädigungs- und Gefährdungspotential besteht und vorher nicht absehbar ist, welcher Grad des Verschuldens einem/einer Mitarbeiter/in tatsächlich vorgeworfen werden kann, ist im Hinblick auf die etwaig sehr hohen Schadensersatzansprüche eine Haftungsfreistellung nicht das am besten geeignete Mittel um eine Haftung faktisch ausschließen zu können. Auf Grund der bestehenden Rechtsunsicherheit und des Aufzeigens alternativer und vorzugswürdiger Lösungsansätze, müssen vor Ort konkrete Regelungen gefunden werden, um den Kindern, die auf die regelmäßige Gabe von Medikamenten während des Ganztagsbetriebs angewiesen sind,  eine Teilnahme am Ganztag zu ermöglichen. Dies kann wie erläutert zum Beispiel durch die Einschaltung eines mobilen medizinischen Dienstes erfolgen.

Über Ganztagsschulen können die Gebietskörperschaften die Pflichtaufgabe der öffentlichen Träger der Jugendhilfe (i.e. der Jugendämter) zur Bereitstellung eines bedarfsgerechten Angebots zur Schulkindbetreuung ( § 24 Abs. 4 SGB VIII ) erfüllen ( § 5 Abs. 1 KiBiz ).

Dies gilt seit der Einführung des KiBiz im Jahr 2008 auch für gebundene Ganztagsschulen ( § 9 Abs. 1 SchulG ) und sonstige schulische Ganztagsangebote ( § 9 Abs. 2 SchulG ), auch für Gemeinden ohne eigenes Jugendamt, allerdings unter der Voraussetzung, dass ein entsprechendes sozialpädagogisches Profil umgesetzt wird (z.B. durch die Beteiligung von Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen oder anderer Berufsgruppen aus Jugendhilfe und Jugendarbeit).

Auf der Grundlage dieser doppelten Rechtskonstruktion können alle Ausgaben der Gebietskörperschaften bei der Bewertung von Haushaltssicherungskonzepten durch die Kommunalaufsicht den pflichtigen Aufgaben zugerechnet werden.

Erlass des Ministeriums für Schule und Weiterbildung vom 23.12.2010:

Gebundene und offene Ganztagsschulen sowie außerunterrichtliche Ganztags- und Betreuungsangebote in Primarbereich und Sekundarstufe I (BASS 12 - 63 Nr. 2)

Der Erlass bietet unter den Nummern 1.1 und 1.2 eine vollständige Aufzählung der Formen von Ganztagsschulen bzw. von Ganztags- und Betreuungsangeboten, die es im Schuljahr 2010/2011 in Nordrhein-Westfalen für die Primarstufe und die Sekundarstufe I gibt. Die Aufzählung des Schulgesetzes stammt aus dem Jahr 2006. In der Zwischenzeit sind weitere Formen entstanden, so z.B. zum 1.2.2009 die pädagogische Übermittagbetreuung in der Sekundarstufe I.

Zu unterscheiden sind Ganztagsschulen, in denen die Teilnahme der Schülerinnen und Schüler zum großen Teil verpflichtend ist, und außerunterrichtliche Ganztags- und Betreuungsangebote, die keine Teilnahmeverpflichtungen kennen.

Verhältnis der Begrifflichkeiten in NRW & KMK (Kultusministerkonferenz)

Die in Nordrhein-Westfalen gültigen Begriffe unterscheiden sich teilweise von den Begriffen der Kultusministerkonferenz. Die KMK unterscheidet gebundene, teilgebundene und offene Ganztagsschulen.

Der Begriff der gebundenen Ganztagsschule wird von der KMK und von Nordrhein-Westfalen identisch verwendet, die beiden anderen Begriffe der KMK jedoch nicht.

Nach KMK-Definition wären offene Ganztagsschulen im Primarbereich teilgebundene Ganztagsschulen, weil zwar nicht alle Schülerinnen und Schüler einer Schüler verpflichtend am Ganztag teilnehmen, wohl aber die Schülerinnen und Schüler, die sich zum Ganztag angemeldet haben. Die KMK-Definition der offenen Ganztagsschule entspricht der nordrhein-westfälischen Definition der außerunterrichtlichen Ganztags- und Betreuungsangebote (§ 9 Abs. 2 SchulG).

Teilgebundene Ganztagsschulen im Sinne der KMK-Definition gibt es in Nordrhein-Westfalen nicht. Es gibt einige wenige ältere Ganztagsschulen, die aus welchen Gründen auch immer den gebundenen Ganztag nur für einen Teil ihrer Schülerinnen und Schüler anbieten. Sie werden in Nordrhein-Westfalen als gebundene Ganztagsschulen gezählt, haben aber Bestandschutz. Neue Schulen dieser Art werden in Nordrhein-Westfalen nicht eingerichtet.

Sonstige Angebote der Jugendhilfe in Nordrhein-Westfalen

Nicht erfasst in den oben genannten Formen des Ganztags bzw. der Betreuung von Schulkindern sind die auch in Nordrhein-Westfalen noch vorhandenen Angebote für Schulkinder in Kindertageseinrichtungen. Es gibt im Schuljahr 2010/2011 noch rund 4.500 Plätze für Schulkinder in Kindertageseinrichtungen, die nach den Vorgaben des KiBiz finanziert werden.

Erlass des Ministeriums für Schule und Weiterbildung vom 23.12.2010:

Gebundene und offene Ganztagsschulen sowie außerunterrichtliche Ganztags- und Betreuungsangebote in Primarbereich und Sekundarstufe I (BASS 12 - 63 Nr. 2)

"3.1. Zu den Merkmalen sowohl einer gebundenen als auch einer offenen Ganztagsschule (§ 9 Abs. 1 SchulG und § 9 Abs. 3 SchulG) gehören beispielsweise

  • Angebote für unterschiedlich große und heterogene Gruppen, die auch besondere soziale Problemlagen berücksichtigen,
  • ein verlässliches Zeitraster und eine sinnvoll rhythmisierte Verteilung von Lernzeiten auf den Vormittag und den Nachmittag, auch unter Entwicklung neuer Formen der Stundentaktung,
  • die Öffnung von Schule zum Sozialraum und die Zusammenarbeit mit den dort tätigen Akteuren „auf Augenhöhe",
  • Förderkonzepte und -angebote für Schülerinnen und Schüler mit besonderen Bedarfen (zum Beispiel Sprachförderung, Deutsch als Zweitsprache, Mathematik und Naturwissenschaften, Fremdsprachen, Bewegungsförderung),
  • die Förderung der Interessen der Schülerinnen und Schüler durch zusätzliche themen- und fachbezogene oder fächerübergreifende, auch klassen- und jahrgangsstufenübergreifende Angebote und außerunterrichtliche Praktika,
  • zusätzliche Zugänge zum Lernen und Arbeitsgemeinschaften (zum Beispiel Kunst, Theater, Musik, Werken, Geschichtswerkstätten, naturwissenschaftliche Experimente, Sport) sowie sozialpädagogische Angebote, insbesondere im Rahmen von Projekten der Kinder- und Jugendhilfe (zum Beispiel interkulturelle, geschlechtspezifische, ökologische, partizipative, freizeitorientierte und offene Angebote),
  • Anregungen und Unterstützung beim Lösen von Aufgaben aus dem Unterricht und Eröffnung von Möglichkeiten zur Vertiefung und Erprobung des Gelernten sowie zur Entwicklung der Fähigkeit zum selbstständigen Lernen und Gestalten,
  • Möglichkeiten und Freiräume zum sozialen Lernen, für Selbstbildungsprozesse und für selbstbestimmte Aktivitäten,
  • ein angemessenes Gleichgewicht von Anspannung und Entspannung mit entsprechenden Ruhe- und Erholungsphasen und von Kindern und Jugendlichen frei gestaltbaren Zeiten,
  • Angebote zur gesunden Lebensgestaltung, u.a. zu einer gesunden Ernährung,
  • vielfältige Bewegungsanreize und -angebote,
  • die Einbindung der Eltern sowie der Schülerinnen und Schüler an Konzeption und Durchführung der Angebote,
  • Unterstützungsangebote für Eltern, zum Beispiel zu Erziehungsfragen, der Beratung und Mitwirkung,
  • in der Sekundarstufe I auch die Orientierung auf Aspekte der Berufs- und Ausbildungsreife oder der Hochschulreife sowie Lebensplanung.

Offene und gebundene Ganztagsschulen setzen diese Merkmale im Rahmen ihrer Ressourcen und Möglichkeiten um."

Bei diesen Merkmalen handelt es sich nicht um eine abschließende Auflistung oder gar ein abschließendes Curriculum, sondern um einen offenen Katalog. Auch weitere Merkmale sind denkbar, je nach den jeweiligen örtlichen Gegebenheiten. Auch ist nicht erforderlich, dass alle Merkmale vorhanden sein müssen. So muss auch bedacht werden, was mit den vorhandenen Ressourcen umsetzbar ist.

Außerunterrichtliche Ganztags- und Betreuungsangebote (§ 9 Abs. 2 SchulG) können sich inhaltlich im Rahmen ihrer Ressourcen an den Merkmalen von Ganztagsschulen orientieren. Gegebenenfalls kann dies dazu führen, dass auch die Umsetzung einzelner Merkmale des Ganztags das pädagogische Konzept weiter voran bringt. Vielleicht ist der Einstieg über eine pädagogische Übermittagbetreuung oder ein freiwilliges Ganztagsangebot schon ein erster Schritt zu den für den gebundenen Ganztag erforderlichen innerschulischen Debatten. In Gymnasien zeigt sich dies zurzeit besonders deutlich im Hinblick auf die Entwicklung von Lernzeitkonzepten zur Abfederung der durch G 8 entstandenen Belastungen.

An offenen und gebundenen Ganztagsschulen werden die Hausaufgaben in das Gesamtkonzept des Ganztags integriert (Nr. 5.4 des Erlasses „Gebundene und offene Ganztagsschulen sowie außerunterrichtliche Ganztags- und Betreuungsangebote in Primarbereich und Sekundarstufe I“, RdErl. d. Ministeriums für Schule und Weiterbildung v. 23.12.2010, BASS 12-63 Nr. 2). Dort wird auch auf den Runderlass "Unterrichtsbeginn, Verteilung der Wochenstunden, Fünf-Tage-Woche, Klassenarbeiten und Hausaufgaben an allgemeinbildenden Schulen" d. Ministeriums für Schule und Weiterbildung v. 05.05.2015 ( BASS 12–63 Nr. 3) verwiesen.

Demnach treten an Ganztagsschulen (§ 9 Absätze 1 und 3 SchulG) in der Sekundarstufe I  Lernzeiten an die Stelle von Hausaufgaben. Die Lernzeiten sind so in das Gesamtkonzept des Ganztags zu integrieren, dass es in der Regel keine schriftlichen Aufgaben mehr gibt, die zu Hause erledigt werden müssen.

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